1945 wurden Millionen Geflüchtete nach Deutschland vertrieben. Zu diesem Zeitpunkt war Deutschland in vier Besatzungszonen aufgeteilt, die von Frankreich, den USA, Großbritannien und der Sowjetunion besetzt waren. Die Aufnahme der Geflüchteten war jedoch unterschiedlich: Der Zugang zur französischen Zone war stark beschränkt. Dies führte zu einer wesentlich höheren Bevölkerungsdichte in der amerikanischen Zone des heutigen Baden-Württembergs, das bis 1949 zwischen den USA und Frankreich aufgeteilt war.
Jan Nimczik, Assistenzprofessor für Wirtschaftswissenschaften an der ESMT, und Antonio Ciccone, Professor für Makroökonomie an der Universität Mannheim, untersuchten die Auswirkungen der historischen Flüchtlingsaufnahme auf die heutige Produktivität, Löhne, Einkommen, Mieten, Bildungsniveau und Bevölkerungsdichte. Sie analysierten historische Volkszählungsdaten, geografische Daten, Einkommenssteuerstatistiken, Daten über die Produktivität von Unternehmen, Immobiliendaten und Bildungsdaten.
Ciccone und Nimczik verglichen die wirtschaftliche Entwicklung in Gemeinden in der Umgebung der ehemaligen Grenze zwischen der französischen und der amerikanischen Besatzungszone im heutigen Baden-Württemberg. Ihre Ergebnisse zeigen, dass im Jahr 2020 die Bevölkerungsdichte auf der ehemaligen amerikanischen Seite immer noch 25 Prozentpunkte höher ist als auf der ehemaligen französischen Seite. In den Gemeinden auf der ehemaligen amerikanischen Seite sind zudem das Pro-Kopf-Einkommen, die Produktivität und die Löhne höher, ebenso die Mieten. Vor der Ankunft der Geflüchteten gab es dagegen keine ökonomischen Unterschiede zwischen Gemeinden auf beiden Seiten der Grenze.
Ciccone und Nimczik schätzen, dass die Ankunft der Vertriebenen auf der amerikanischen Seite der ehemaligen Grenze das Pro-Kopf-Einkommen um etwa 13 Prozent und die Stundenlöhne um etwa zehn Prozent erhöht hat.
Prof. Nimczik sagt: “Kriege, Bürgerkriege, wirtschaftlicher Zusammenbruch und der Klimawandel verursachen auch heute noch massive Flüchtlingsbewegungen. Natürlich müssen humanitäre Erwägungen die Hauptmotivation für die Maßnahmen zur Unterstützung von Geflüchteten sein. Aber auch wirtschaftliche Kosten und Nutzen haben schon immer eine Rolle gespielt. Die öffentliche Debatte konzentriert sich in der Regel auf die kurz- und mittelfristigen Auswirkungen – der längerfristige wirtschaftliche Nutzen wird oft vernachlässigt. Der Fall der Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland zeigt, dass der Nutzen für die Aufnahmeländer in Form von höheren Pro-Kopf-Einkommen und Löhnen beträchtlich sein kann.”