Linus Dahlander, Professor of Strategy und Inhaber des Lufthansa Group Chair of Innovation an der ESMT Berlin, untersuchte zusammen mit Kollegen von der Purdue University und INSEAD die Auswirkungen von Bewertungen gleichrangiger Mitarbeitender auf das Verhalten von Wikipedia-Mitgliedern, für die diese Peer-Bewertungen transparent einsehbar sind.
Die Mitarbeitenden können hier die gesamte Bewertungshistorie eines Mitglieds einsehen, einschließlich der Frage, wie und wen sie in der Vergangenheit bewertet haben. Die Peer-Bewertungen werden verwendet, um festzulegen, welche Mitglieder Administratoren werden.
Bei ihrer Analyse konzentrierten sich die Forschenden auf drei Schlüsselfaktoren: 1. Ob das Mitglied kurz davorstand, selbst bewertet zu werden, 2. wie entscheidend eine Bewertung war und 3. wie das Aktivitätsniveau der jeweiligen Kandidierenden war.
Die Untersuchungen ergaben, dass Wikipedia-Mitglieder, die kurz davorstehen, bewertet zu werden, häufiger selbst an Peer-Evaluierungen teilnehmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Mitglieder an Bewertungen teilnehmen, ist jedoch geringer, wenn ihre Bewertung jemanden beleidigen oder einen entscheidenden Einfluss auf die Gesamtbewertung einer Kollegin bzw. eines Kollegen haben könnte. Das hat zur Folge, dass sich die negativen Bewertungen insbesondere auf inaktive Mitglieder konzentrieren. Negative Bewertungen richten sich auch an Mitglieder, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie das Ergebnis der Bewertung in die eine oder andere Richtung beeinflussen und bei denen das Gesamtergebnis bereits feststeht.
Des Weiteren ergaben die Untersuchungen keine Hinweise darauf, dass sich die Mitglieder darauf konzentrieren, aktiven Kollegen positive Bewertungen zu geben, was darauf hindeutet, dass sie negative Gegenseitigkeit vermeiden, aber nicht versuchen, positive Gegenseitigkeit hervorzurufen. Weitere Analysen deuten darauf hin, dass dieser strategische Einsatz von Peer-Evaluierungen effektiv ist, da die Mitglieder eher positiv bewertet und von ihren Kolleginnen und Kollegen befördert werden.
“Unsere Forschung zeigt, dass Menschen dazu neigen, an Beurteilungen durch Gleichrangige teilzunehmen, wenn sie der Auffassung sind, dass es ihnen nützt, nicht jedoch, weil ihre Beurteilung ggf. hilfreich wäre. Das bedeutet, dass sie sich nicht an Bewertungen beteiligen, deren Ausgang ungewiss ist, um Vergeltungsmaßnahmen zu vermeiden. Im Übrigen entgehen der Organisation dadurch wahrscheinlich wichtige Bewertungen, wenn sie am wertvollsten sein könnten”, sagt Prof. Dahlander.
Die Ergebnisse zeigen, dass Transparenz und Selbstselektion zwar die Verantwortlichkeit für Evaluierungen erhöhen, es den Mitgliedern aber auch ermöglichen, ihre Evaluierungen dafür zu nutzen, sich vor ihrer eigenen Evaluierung strategisch zu positionieren.
Um die Möglichkeit der strategischen Manipulation zu verringern, sollten Organisationen transparente Peer-Evaluierungsprozesse mit klaren Richtlinien einführen. Transparenz kann zwar die Rechenschaftspflicht erhöhen, doch sollten sich die Führungskräfte darüber im Klaren sein, dass Mitarbeitende diese Transparenz strategisch zu ihrem Vorteil nutzen könnten.
Organisationen können ihre Mitglieder zur Rechenschaft ziehen und eine Kultur echter leistungsbezogener Beurteilungen fördern, indem sie sicherstellen, dass die Bewertungen offen und nachvollziehbar sind. Dieser Ansatz kann das Vertrauen in das Bewertungssystem stärken und die Fairness und Effektivität der Organisation verbessern.
Führungskräfte sollten ihre Mitarbeitenden zudem dazu ermutigen, ausgewogene Bewertungen abzugeben, die sowohl positive als auch negative Aspekte der Leistung widerspiegeln, unabhängig von persönlichen Interessen. Schulungsprogramme zur effektiven Abgabe von Feedback und zur Bedeutung objektiver Beurteilungen können dazu beitragen, die in dieser Studie festgestellten strategischen Verzerrungen abzuschwächen.
Diese Studie wurde in der Zeitschrift Organization Science veröffentlicht und kann hier eingesehen werden.