Die Professoren Gianluca Carnabuci und Eric Quintane, beide von der ESMT, untersuchten, wie und wann Menschen Netzwerke aufbauen, die es ihnen ermöglichen, ihre beste Leistung zu erbringen. Zu diesem Zweck führten sie ein Langzeit-Feldexperiment in einer Geschäftseinheit eines großen Halbleiterunternehmens durch und verfolgten das Netzwerk und die Leistung eines jeden Mitarbeitenden über zweieinhalb Jahre.
Sie fanden heraus, dass die meisten Mitarbeitenden Beziehungen aufbauen, die ihrem kognitiven Stil entsprechen, d. h. ihrer bevorzugten Art, Informationen zu verarbeiten und Probleme zu lösen. So bauen beispielsweise Mitarbeiter, die Wert auf Vielfalt und Kreativität legen, "Brückenbeziehungen" auf, die sich über verschiedene Gruppen und Silos des Unternehmens erstrecken, da diese Beziehungen eine Vielzahl von Meinungen, Perspektiven und Ideen mit sich bringen, mit denen sich kreative Mitarbeitende natürlich wohl fühlen. Auf der anderen Seite vermeiden Mitarbeitende, denen Präzision und sorgfältige Ausführung wichtiger sind als Kreativität, solche Brückenbeziehungen und konzentrieren sich stattdessen darauf, ihre bereits bestehenden Bindungen innerhalb einer einzigen Gruppe zu verstärken.
Der Aufbau von Netzwerken, die mit unserem kognitiven Stil übereinstimmen, ist eine natürliche Sache, weil wir uns dadurch gut fühlen. Es ist aber auch ein Rezept für minderwertige Leistungen. Carnabuci und Quintane fanden bei der Untersuchung von Top-Performern heraus, dass diese Personen genau das Gegenteil von dem taten, was die meisten anderen Arbeitnehmenden taten: Sie bauten Netzwerke auf, die ihren kognitiven Stil ergänzten, anstatt sich an ihm auszurichten. So widerstanden die kreativen Leistungsträger beispielsweise ihrer natürlichen Neigung, neue Kontakte zu anderen Gruppen zu knüpfen, und tauchten stattdessen in ein dichtes Netz bereits bestehender Beziehungen ein. Solche kohäsiven Netzwerke waren für die Kreativen sehr leistungsfördernd, da sie ihnen halfen, Pläne auszuführen und ihre Ideen in konkrete, umsetzbare Lösungen zu verwandeln. Auf der anderen Seite arbeiteten die Spitzenkräfte unter den ausführungsorientierten Mitarbeitenden hart daran, neue Verbindungen über die Silos und Gruppen des Unternehmens hinweg zu knüpfen. Auf diese Weise kombinierten sie ihre überlegenen Ausführungsfähigkeiten mit einem Zustrom von Perspektiven und Ideen aus ihrem Netzwerk.
„Wir wissen, wie wichtig der Aufbau der richtigen Art von Netzwerken für die individuelle Leistung, die Kreativität und den beruflichen Erfolg ist”, sagt Carnabuci. „Viele Menschen bauen jedoch unbeabsichtigt Netzwerke auf, die sie beruflich zurückhalten. Auf der Grundlage unserer Forschung haben wir nun eine Erklärung dafür, warum dies geschieht und was wir dagegen tun können.”
Eine wichtige Erkenntnis aus dieser Studie ist das Verständnis dafür, wie Netzwerke die Leistung verbessern können. „Wenn wir unsere besten Leistungen erbringen wollen, müssen wir uns bemühen, am Arbeitsplatz Netzwerke aufzubauen, die unsere angeborenen Fähigkeiten ergänzen – und nicht verstärken”, sagt Quintane. Das bedeutet zwar oft, dass man seine gewohnte Umgebung verlässt, aber der Nutzen ist greifbar.
Die Investition in ein Netzwerk erfordert ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Engagement. Unternehmen können jedoch mehr tun, um ihre Angestellten bei diesen Bemühungen zu unterstützen. Carnabuci und Quintane haben beispielsweise gezeigt, dass schon ein einziger Tag Weiterbildung für Führungskräfte, der den Mitarbeitenden helfen soll, produktivere Netzwerke aufzubauen, ausreicht, um bei vielen erhebliche Leistungsvorteile zu erzielen. Dieses Ergebnis legt nahe, dass Unternehmen nicht von ihren Angestellten erwarten sollten, dass sie wissen, welche Netzwerke für sie geeignet sind, sondern dass sie ihre Beschäftigten unterstützen sollten, indem sie ihnen evidenzbasiertes Wissen darüber vermitteln, wie Netzwerke wirklich funktionieren.
Dieser Artikel wurde im Academy of Management Journal veröffentlicht.