Die Studie mit dem Titel „The Power and Peril of First Offers in Negotiations“ wurde von Martin Schweinsberg, Associate Professor of Organizational Behavior an der ESMT Berlin in einem internationalen Forschungsteam unter Leitung von Hannes M. Petrowsky (Leuphana University) durchgeführt. Die Arbeit ist in Organizational Behavior and Human Decision Processes erschienen, einem renommierten Fachjournal im Bereich Management und Entscheidungsfindung, das Publikationen ausschließlich nach einem unabhängigen Peer-Review-Verfahren annimmt.
Die Daten der Studie kommen aus allen Arten von Verhandlungen, egal ob Gehaltsgespräch, Immobilienkauf, Beschaffungsvertrag oder privater Verkauf, und zeigen, wie stark das erste Angebot den Rahmen einer Verhandlung prägt. Denn die zuerst genannte Zahl dient vielen Beteiligten unbewusst als Orientierung: In 81 Prozent der untersuchten Verhandlungen führten höhere erste Angebote zu besseren Abschlusswerten für diejenige Person, die den Einstieg setzte.
Diese Herangehensweise hat jedoch Grenzen. Sehr hohe oder unrealistische Forderungen erhöhen das Risiko, dass Verhandlungen scheitern oder die Gegenseite sich unfair behandelt fühlt. Besonders heikel ist das dort, wo im Anschluss noch eine Leistung erbracht wird, etwa bei Dienstleistungen oder Arbeitsbeziehungen. Wer das Gefühl hat, deutlich verloren zu haben, kann später unbewusst oder bewusst an Tempo, Qualität oder Einsatz sparen und so einen Teil des empfundenen Verlusts wieder hereinzuholen versuchen. Ein kurzfristig verhandelter Vorteil kann sich dann über die Zeit als teurer erweisen.
Die Studie macht auch deutlich, dass die Effekte des ersten Angebots schwächer werden, je komplexer eine Verhandlung ist. Wenn viele Themen gleichzeitig verhandelt werden, verliert eine einzelne Zahl schneller an Gewicht. In solchen Situationen gewinnt die Beziehungsebene an Bedeutung und das kreative Finden von „Win-Win“-Verhandlungslösungen. Ein zu aggressiver Einstieg kann das Vertrauen belasten und künftige Zusammenarbeit erschweren. Wer verhandelt sollte daher überlegen, wie wichtig ein gutes Verhältnis zur Gegenseite ist und welche Rolle dieses in Zukunft noch spielen wird.
„Viele Menschen verlassen sich in Verhandlungen stark auf ihr Bauchgefühl“, sagt Martin Schweinsberg. „Es zeigt sich jedoch, dass sich ein großer Teil des Erfolgs schon vor dem Gespräch entscheidet. Wer sich klare Ziele setzt, eine realistische Spanne definiert und bewusst plant, welche Zahl er zuerst nennt, nimmt dem Zufall viel Einfluss.“
Die Ergebnisse bieten einen klaren Orientierungsrahmen für Menschen, die beruflich oder privat verhandeln. Ein gelungenes erstes Angebot verbindet einen gut recherchierten Ausgangswert mit klaren Zielen und einem Blick auf die Beziehung zur Gegenseite. So steigt die Wahrscheinlichkeit für Abschlüsse, von denen beide Seiten langfristig profitieren.