Frauen haben ein feineres Gespür für Beziehungen im Berufsleben. Sie erkennen präziser, wer mit wem in Kontakt steht, und merken sich diese Strukturen zuverlässiger. Paradoxerweise könnte gerade diese Fähigkeit erklären, warum Frauen in bestimmten Positionen unterrepräsentiert sind. Das legt aktuelle Forschung von Eric Quintane (ESMT Berlin), Matthew Brashears (University of South Carolina), Helena V. González-Gómez (NEOMA Business School) und Raina Brands (UCL School of Management) nahe, erschienen in der Fachzeitschrift Personnel Psychology.
In drei Studien mit insgesamt mehr als 10.000 Teilnehmenden zeigte sich ein klares Muster: Frauen erinnern sich genauer an Beziehungsgeflechte in Teams, insbesondere in dichten, vertrauten Netzwerken. Dies konnte sowohl in einer groß angelegten Befragung in den USA als auch in einer Untersuchung realer Freundschaftsnetzwerke von MBA-Studierenden und in einem Online-Experiment mit Berufstätigen nachgewiesen werden. Sobald berufliche Netzwerke jedoch offener und weniger verbunden sind, also sogenannte strukturelle Löcher aufweisen, verschwindet dieser Vorsprung.
Strukturelle Löcher entstehen zum Beispiel in abteilungsübergreifenden Projektteams, in denen sich viele Teammitglieder untereinander kaum kennen und Informationen nur über wenige zentrale Personen fließen, oder in informellen Netzwerken rund um Führungskräfte, bei denen einige Schlüsselpersonen mehrere Entscheidungsträger miteinander verbinden, während andere keinen direkten Zugang haben. In beiden Fällen sind es die Personen an den Schnittstellen, die Einfluss gewinnen können. In solchen Netzwerken verlieren Frauen ihren Vorsprung gegenüber Männern.
„Frauen scheinen stärker auf ein mentales Schema der triadischen Schließung zurückzugreifen. Dabei wird eine Beziehung zwischen zwei Personen angenommen, wenn beide mit einer dritten Person verbunden sind“, erklärt Eric Quintane, Associate Professor für Organizational Behavior an der ESMT Berlin. „Diese gedankliche Abkürzung verbessert ihre Treffsicherheit in dichten, vertrauten Teams, führt jedoch in locker verbundenen Netzwerken mit strukturellen Löchern zu Phantomverbindungen und lässt ihren Vorteil in genau diesen Kontexten verschwinden.“
Die Ergebnisse legen nahe, dass Organisationen sich der unterschiedlichen kognitiven Wahrnehmungsmuster bewusst sein sollten, um sicherzustellen, dass Frauen und Männer gleichermaßen Zugang zu Schlüsselpositionen erhalten, in denen es auf das Erkennen und Überbrücken von Netzwerklücken ankommt.